Interview mit Prof. Dr. Karl Pilny
Warum mittelständische Unternehmen sich nicht gänzlich von China und Asien abwenden sollten
Viele Unternehmen blicken mit Sorge auf China. Durch die Corona-Pandemie zeigte sich, wie fragil die Lieferketten sind. Hinzu kommen weitere Abhängigkeiten bspw. im Bereich Rohstoffe. Sehen Sie auch Chancen?
Die wirtschaftliche Verzahnung zwischen Deutschland und China ist in den letzten Jahren enorm gewachsen. Weit über ein Drittel der DAX-Unternehmen machen mehr als dreißig Prozent ihres weltweiten Umsatzes und/oder Gewinns in China. Das zeigt deren Abhängigkeiten von China. Die gute Nachricht ist, dass die deutschen Unternehmen schon früh am Aufstieg Chinas beteiligt waren. Man bedenke, was China in den letzten vierzig Jahren erreicht hat. Das Bruttoinlandsprodukt des Landes hat sich seit Mitte der Achtziger Jahre mehr als versechshundertfacht. Doch Skepsis ist bei den Zahlen angebracht, weil Zahlenmaterial auch als politisches Instrument verwendet wird. Das zeigte der jüngste Parteitag, wo diese Zahlen zurückgehalten wurden, um erstmal die Wiederwahl von Xi Jinping zu gewährleisten. Doch so oder so ist China in den letzten zwanzig Jahren rasant gewachsen – in der Regel sogar zweistellig per anno. Diese Entwicklung Chinas sowie das Freihandelsabkommen RCEP (siehe Teil 2 des Interviews) bieten hiesigen Unternehmen große Chancen.
Im Westen sagen viele, dass wir uns von China unabhängig machen müssen. Wie sehen Sie das?
Das ist genauso unrealistisch, wie die Gegenpositionen, die sagen, die Chinesen sind dabei, sich völlig abzuschotten. Beide Ansichten sind verfehlt und basieren auf einer Schwarz/Weiß Malerei.
Bei der Frage, ob wir uns von unabhängiger machen sollen, können wir von China lernen. Es ist richtig, dass sie sich ein stückweit zurückziehen, sich von den Weltmärkten weniger abhängig machen wollen und sich zum Beispiel stärker auf den Binnenmarkt fokussieren, auf soziale Fragen, Common Prosperity und gemeinsamen Wohlstand.
Aber weil sie ebenso pragmatisch und anpassungsfähig sind, machen sie nicht alle Schotten dicht. Vielmehr versuchen sie weiter, in gezielten strategischen Branchen und Bereichen wie Umwelttechnologie, Energie, Spezialmaschinenbau und so weiter Marktanteile und Marktführerschaft anzustreben. Kurz gesagt, sie machen weiter beides. Einerseits schotten sie sich ab. Und auf der anderen Seite machen Sie Geschäfte mit dem Westen. Beides findet statt, und zwar mit gleicher Geschwindigkeit, um an die Weltspitze zu kommen. Ihr Erfolgsgeheimnis ist ihr „Sowohl-als-auch-Mindset“. Im Umgang mit China muss man verstehen, dass die Chinesen so pragmatisch sind, dass sie es meisterhaft verstehen, das eine zu tun, ohne das andere zu lassen.
Anstatt China und Asien den Rücken zuzukehren, sollten unsere Unternehmen also Chancen nutzen. Welche sind das und wie kann das gelingen?
Durch Corona hatten mittelständische Unternehmen die letzten drei Jahre große Probleme mit China. Beispielsweise war es schwierig, Mitarbeiter nach China zu bringen und der direkte Kundenkontakt war auch stark eingeschränkt. Das war und ist teilweise noch gerade für mittelgroße Unternehmen eine große Herausforderung. Daher wurden vor Ort immer mehr Kompetenzen und Zuständigkeiten an lokale chinesische Mitarbeiter übergeben. Einfach weil vor Ort zu wenige Experten zur Verfügung standen. Zudem verließen eine Reihe Experten das Land. Für die mittelständischen Unternehmen bestand so ein gewisser Druck darin, lokaler zu werden, was Mitarbeiter und Prozesse und so weiter betrifft. Doch trotz dieser und anderer Schwierigkeiten – bspw. bei zusammenbrechenden Lieferketten – sollten Unternehmen sich nicht von China bzw. Asien abwenden.
Wenn die Todesraten und Infektionen abklingen, macht es für hiesige mittelständische Unternehmen Sinn, darüber nachzudenken, wieder stärker in China zu investieren, sowohl in Experten als auch finanziell. Diese Lokalisierung ist ein wichtiger Megatrend.
Ein weiterer Megatrend, den ich in diesem Zusammenhang sehe, ist die Diversifizierung. Viele DAX-Unternehmen machen weit über ein Drittel ihres weltweiten Umsatzes oder Profits in China. Das lässt sich nur sehr schwer abfedern oder ersetzen. Jetzt muss man aber einen Unterschied zwischen den Großunternehmen und den mittelständischen Unternehmen machen. Denn die mittelständischen Unternehmen, soweit ich das auch durch meine Firma Dealmaker.io sehe, wo wir Joint-Ventures oder Unternehmenskäufe und -verkäufe begleiten, sehen wir, dass Mittelständler seit längerem viel agiler sind als Großunternehmen.
Wenn BASF Milliarden Dollar in China investiert, kommen oder wollen sie da so schnell nicht wieder raus. Hingegen ist der Mittelstand flexibler und hat die Chance, aus der Not eine Tugend zu machen, indem er in China und anderen südostasiatischen Ländern Niederlassungen einrichtet. Das ist diese berühmte „China Plus One Strategie“, im Rahmen derer Alternativlieferanten oder alternative Standorte aufgebaut werden. Diese Strategie hat durch die chinesischen Covid-Restriktionen und durch geopolitische Verhärtung in den Beziehungen zu China noch mehr an Relevanz gewonnen.
In dem Zusammenhang ist einer der Hauptprofiteure dieser Verhärtung und der Entflechtung von China Vietnam. Eine sehr spannende Volkswirtschaft, die schon seit Jahren als das Neue China bezeichnet wird. Auch aufgrund der politischen Ähnlichkeit. Wir haben in Vietnam hundert Millionen Menschen, die konfuzianistisch geprägt sind. Das heißt sie sind lern-, leidens- und leistungsfähig. Außerdem sind sie im Verhältnis zu Deutschland im Durchschnitt sehr jung. Mit Blick auf die Privatisierungen steht Vietnam etwa zehn bis fünfzehn Jahre hinter China.
Von daher hat der direkte Nachbar von China ein enormes wirtschaftliches Potenzial. Alternative Standorte in Südostasien – zusätzlich zu China – bieten grundsätzlich eine große Chance für die Diversifizierung und damit Resilienz der Lieferketten mittelgroßer Unternehmen.
Ich denke nicht, dass es immer klug wäre, Standorte in China über Nacht dicht zu machen und komplett zu verlagern. Doch das kann je nach Branche und Unternehmen überlegenswert sein. Ansonsten sollten Unternehmen über ergänzende Standorte in Südostasien nachdenken.
Hier sind weitere Teile der Serie “Chinas Seele verstehen” aufgeführt
Teil 2: Freihandelsabkommen RCEP: Große Chancen für den Mittelstand
Teil 3: China strebt die Weltspitze an: Was ist deren Erfolgsgeheimnis
Teil 4: Die Politisierung der Wirtschaft Chinas verstehen
Über Prof. Dr. Karl Pilny
Der internationale Wirtschaftsanwalt Prof. Dr. Karl Pilny gilt als einer der profundesten Asienkenner im deutschsprachigen Raum. Der japanisch-sprechende Investmentexperte hat viele Jahre in Asien gelebt und in den vergangenen dreißig Jahren zahlreiche Investitionen in und nach Asien begleitet. Prof. Dr. Pilny ist Geschäftsführer der auf Markteintritte in Asien spezialisierten Beratungsgesellschaft asia21 GmbH in Zürich und darüber hinaus seit vielen Jahren als Unternehmer und Business Angel tätig. Mit der Dealmaker.io GmbH und dem Asia Strategy Institute beim BWA in Berlin verhilft er europäischen Unternehmern zum erfolgreichen Eintritt in asiatische Märkte und begleitete asiatische Firmen auf ihrem Weg nach Europa.
Neben einem starken Netzwerk in Politik, Wirtschaft und Wissenschaft ist Pilny gefragter Keynote Speaker und Autor diverser Bücher mit Asienbezug. Bekanntheit erlangte insbesondere seine Trilogie „Das asiatische Jahrhundert“. Diese ist beim Campusverlag erschienen und umfasst „Das asiatische Jahrhundert“ (Ostasien), „Tanz der Riesen“ (Südasien) und „Tiger auf dem Sprung“ (Südostasien). Ferner erschien 2010 beim Finanzbuchverlag München sein „Investment Guide Asien“. „Asia 2030 – was der globalen Wirtschaft blüht“, die Fortsetzung der Trilogie, wurde 2019 für den getAbstract International Book Award nominiert.
Mitgründer und Geschäftsführer von Dealmaker.io GmbH
Prof. Pilny ist Mitgründer und Geschäftsführer von Dealmaker.io GmbH. Dies ist für Leser interessant, wenn es darum geht, wie sich in Asien aufstellen, wie sie lokale Partner vort Ort finden oder wie man reagiert, wenn asiatische und chinesische Unternehmen beispielsweise die Lieferketten aus ihrer Perspektive umstrukturieren. Als digitaler Transaktionsberater hilft Dealmaker.io zudem bei allen Fragen rund um den Unternehmensverkauf.
Newsletter Pilnys Asia Insights
Der neue Newsletter ist da! DER Asienexperte Prof. Dr. Karl Pilny schreibt in einem exklusiven Newsletter über die asiatischen Länder, Märkte, Politik und Kulturen. Erfahre vor allen anderen, was den panasiatischen Markt bewegt.
HIER anmeldenAutor des Buches „Praxiswissen China“
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Über das Buch „Praxiwissen China“
An China führt kein Weg vorbei! Doch nach wie vor gestalten sich die Geschäfte und die Zusammenarbeit mit Chinesen schwierig und so manches Unternehmen ist gescheitert oder hat Federn lassen müssen. Zu fremd sind uns das Geschäftsgebaren, die Kommunikation, der Text zwischen den Zeilen.
Was genau muss bei Geschäften und bei der Zusammenarbeit mit Chinesen beachtet werden? Was ist dabei zwingend zu vermeiden? Wie werden Verhandlungen geführt? Was sind die Besonderheiten der Vertragsgestaltung oder auch des Steuerrechts? Welche Regularien sollte man unbedingt kennen und welche Gesetze sind besonders wichtig? Aber auch was bedeutet ein „Ja“ oder welche Rolle spielen Visitenkarten oder Gastgeschenke? Dieser praktische Ratgeber liefert Antworten für diese und viele weiteren Fragen! Unverzichtbar für alle, die sich sicher und erfolgreich im Reich der Mitte bewegen wollen.
- Von einem der führenden Experten rund um das Geschäft und die Zusammenarbeit mit Chinesen
- Fundiert und praxisorientiert
- Mit praktischen Tipps und direkt einsetzbaren Arbeitshilfen
Kontakt:
Kloepfel Group
Christopher Willson
Tel.: 0211 941 984 33
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