Für die meisten Unternehmen kam Corona aus dem Nichts und war ein beispielloser Schock. Zuerst weit weg, keimte die Pandemie in China, tauchte dann plötzlich in Italien auf und breitete sich danach über Europa und den ganzen Globus aus. Bald wurde klar, dass Covid-19 potenziell Auswirkungen auf ganze Wertschöpfungsketten haben würde, die in den letzten 25 Jahren im Zuge einer beispiellosen Globalisierung aufgebaut wurden. Wie Einkäufer diese Herausforderung meisterten und welche Maßnahmen Kloepfel Consulting anriet, berichtet Dr. Stephan Hofstetter, Partner und Leiter der Kloepfel Akademie.
Verantwortung übernehmen: Der richtige Rat zur richtigen Zeit
Als Supply-Chain-Berater erkannten wir früh, dass die Verwerfungen der Coronakrise sich auf die Wertschöpfungsketten vieler Unternehmen in Deutschland, Österreich und der Schweiz auswirken würden. Es lag auf der Hand, rasch praktische Tipps und relevantes Fachwissen für die Betroffenen bereitzustellen. Unsere Art, zur Bewältigung der Krise beizutragen, war die unmittelbare Einrichtung und Bewerbung kostenloser Webinare im Rahmen der notgedrungen auf Online-Seminare ausgerichteten Kloepfel Akademie. Damit wollten wir aktuelle und potenzielle Kunden mit direkt umsetzbaren Ratschlägen sowie mit ausgewählten Werkzeugen zur Analyse und zum Umgang mit der tiefen Corona-Krise pragmatisch unterstützen. In den Webinaren skizzierten wir überdies Szenarien zu typischen Sektoren und entwickelten Perspektiven zur Zukunft im Einkauf nach Corona.
- Krisenmanagement im Einkauf
- Corona-Ausstiegsszenarien
- Die Zukunft nach Corona neu denken
Sofortmaßnahmen und Fernberatung
Was genau haben betroffene Unternehmen als unmittelbare Reaktion auf die Krise getan? Die Führungskräfte in unserem Kundenstamm haben frühzeitig Taskforces eingerichtet, um eng abgestimmt mit anderen Funktionen erste und bevorstehende Unterbrechungen in der Lieferkette zeitnah zu bewältigen. Sie haben insbesondere eine radikalere Transparenz in den Wertschöpfungsketten geschaffen, um potenzielle Engpässe auszumachen und die Risiken proaktiv zu behandeln. Für einen multinationalen Kunden sprachen wir vor diesem Hintergrund mit 60 Anbietern, um die mehrstufige Wertschöpfungskette vom Kunden bis zum Rohmaterial zu verstehen, Transparenz über Bestände und Laufzeiten zu schaffen sowie die Wiederbeschaffungszeiten mit einem standardisierten Werkzeugkasten abzusichern.
In dieser Situation hatte oberste Priorität, direkte Kommunikationslinien mit den wichtigen und kritischen Lieferanten sicherzustellen. Es wurde auch deutlich, dass nicht alle Unternehmen hinsichtlich der Kontaktdaten gut vorbereitet waren, etwa für eine generelle Anpassung der Zahlungsbedingungen oder für eine zentral gesteuerte Kommunikation mit den Lieferanten.
Außerdem war es entscheidend, geplante Investitionen zurückzustellen, Ausgaben für nicht vorrangige Zwecke zu vermeiden und den Abfluss liquider Mittel eng zu kontrollieren und einzuschränken. In vielen Unternehmen wurde auf Geschäftsreisen verzichtet, soweit sie überhaupt noch möglich waren.
Beschränkte Transporte aus Corona-Hotspots in Europa, neu aufgestellte Grenzkontrollen mit langen LKW-Rückstaus, abbrechenden Bahnverbindungen und wegfallenden Luftfrachtkapazitäten wurden rasch zu einer logistischen Herausforderung, die kreativ gelöst werden musste.
Entwicklung von Szenarien zur Vorausplanung
Während unsere Kunden die notwendigen Maßnahmen umsetzten, wurde immer deutlicher, dass die Corona-Krise Monate dauern könnte und dass, wie bei allen anderen Pandemien in der Vergangenheit, eine zweite Welle die geschwächte Unternehmenslandschaft überrollen könnte. Entsprechend stellte sich die Frage, wie man sich auf die kommenden Monate in einer noch nie dagewesenen Krise vorbereiten kann, wenn doch so viel Ungewissheit besteht? Unser empfohlener Ansatz war, in Szenarien zu denken, um überhaupt eine sinnvolle Perspektive in der Kommunikation mit der Lieferantenbasis geben zu können.
Erstellung und Aktualisierung von Krisenszenarien
Bei der Entwicklung solcher Szenarien für ein bestimmtes Unternehmen oder eine spezifische Branche sind die beiden kritischsten Treiber der Krise herauszuarbeiten: Ist es die Nachfrage, wie etwa in der Automobilindustrie, in der Luftfahrt oder im öffentlichen Verkehr? Sind es Probleme in der Lieferkette, wie etwa bei den Wirkstoffen in der Pharmaindustrie oder spezifische Komponenten in der Medizinaltechnik? Oder sind es Mitarbeiter und Grenzgänger, die in der Quarantäne feststecken? Ist zu wenig Wasser unter dem Kiel (Finanzen), behindern die wegbrechenden Transportkapazitäten den Handel oder sind es die Schutzkonzepte, welche einen Normalbetrieb stark einschränken? Auf Grundlage der Antworten entwickelten wir Szenarien für die Erholung von der Covid-19-Krise, die auf Annahmen für die beiden kritischsten Triebkräfte beruhen. Im Basisszenario schließlich leitetet sich eine Prognose für das laufende Geschäftsjahr und ein High-Level-Geschäftsplan für die folgenden beide Jahre ab, jeweils im Vergleich zu Vor-Corona. Die Zulieferer sind in unsicheren Zeiten sehr daran interessiert, sich selbst aus den Rückmeldungen der Kunden ein realistisches Szenario zu bauen. Natürlich basiert ein Szenario auf Annahmen – das heißt, sie können sich ändern und müssen periodisch überprüft werden. Die Szenarien vermitteln aber eine gewisse Sicherheit in einer turbulenten Zeit.
Erkenntnisse zum Schutz der Wertschöpfungskette vor Auswirkungen
Zu verstehen, an welchem Punkt eine Wertschöpfungskette in einer Krise versagen könnte, ist entscheidend, um potenzielle Liefer- und Produktionsausfälle rechtzeitig zu erkennen. Um dies zu analysieren, haben wir mit unseren Kunden einen Gesundheitscheck für die Lieferanten entwickelt. Als Teil dieses Ansatzes haben wir die spezifischen Corona-Auswirkungen in all den Besprechungen mit Lieferanten bewusst thematisiert. So wird die Risikobewertung unserer Kunden laufend aktualisiert.
Eine wichtige Erkenntnis ist, dass das spezifische Lieferantenrisiko mit der Kundenstruktur und deren Sektoren korreliert. Die Risikosituation variiert deshalb selbst bei konkurrierenden Lieferanten innerhalb einer Warengruppe stärker als erwartet.
Beobachtete Unterbrechungen standen und stehen in engem Zusammenhang mit Corona-Hot-Spots und damit einhergehenden Einschränkungen. Betroffen sind hauptsächlich europäische Wertschöpfungsketten mit Anbietern in Italien, Spanien, Deutschland und weitaus weniger in Asien. Die Lieferketten der europäischen Champions sind immer noch eher national und regional (Europa) als global aufgebaut.
Für einen Weltmarktführer unterstützten wir im Rahmen eines strategischen Effizienzprogramms den Arbeitsstrang auf der Beschaffungsseite. In Strategiegesprächen mit rund 280 Anbietern wurden gemeinsam Ansätze entwickelt, um die aktuellen Herausforderungen der Corona-Krise zu meistern, um sich im intensiven Wettbewerb auf globalen Märkten besser zu positionieren und um sich strategisch auf die Zukunft nach Corona auszurichten. Es konnten breit gefächerte Wertbeiträge entwickelt werden.
Für die Zukunft nach Corona gibt es im Einkauf ein paar strategische Zielrichtungen, die ganz aus heutiger Sicht ganz oben auf der Tagesordnung stehen.
Wie man Resilienz erreicht
Die Resilienz der Wertschöpfungsketten wurde zu einem Schlüsselwort in der Corona-Krise. Wie kann die Resilienz verstärkt werden? Ein möglicher Ansatz besteht darin, das geographische Netz der globalen Wertschöpfungsketten zu hinterfragen. Der Grundgedanke dabei ist, die Zulieferer näher am globalen Fußabdruck der Produktion anzusiedeln, mit dem Ziel, regionale Wertschöpfungsketten mit einer relativen Nähe zu den Endkundenmärkten zu stärken. Dies bedeutet, dass eine Regionalisierung innerhalb Europas, Amerikas oder Asiens den Handel zwischen Nachbarländern weiterwachsen lassen könnte.
In aufstrebenden Ländern wie China gewinnen inländische Lieferketten an Bedeutung, da diese Schwellenländer mehr und mehr selbst konsumieren, was sie produzieren. Darüber hinaus könnte der Handel, der auf der Arbitrage der Arbeitskosten basiert, an Bedeutung verlieren. Die Nähe zum Kunden, die Qualität der Infrastruktur und der Zugang zu qualifizierten Arbeitskräften sind tendenziell wichtigere Kriterien. Die Automatisierung und Digitalisierung eröffnen überdies neue Möglichkeiten in den westlichen Industrieländern.
Multiple-Sourcing-Strategien und bewegliche Wertschöpfungsketten
Single-Sourcing ist oft ein vermeidbares Risiko, so dass in Zukunft einer gewissen Redundanz mit dualen bis multiplen Beschaffungsstrategien höhere Priorität eingeräumt wird. Immer aber kombiniert mit einer engeren Lieferantenintegration als solide Grundlage für effiziente Beziehungen. Was das Neusortieren der geographischen Beschaffungsmärkte betrifft, so ist zu beobachten, dass sich die Wertschöpfungsketten schon immer bewegt haben und weiterbewegen werden. Das heißt, sie könnten sich über Grenzen hinweg verlagern, nach einer McKinsey-Schätzung sogar bis zu 15 bis 26 Prozent innerhalb von 3 bis 5 Jahren. Das ist keine Prognose, sondern lediglich eine realistische Einschätzung des notwendigen Zeithorizontes für eine nachhaltige Veränderung von Lieferketten.
Aus der Corona-Krise wird der Anspruch mitgenommen, eine radikale Transparenz in den Wertschöpfungsketten vom Rohstoff bis zum Endkunden zu pflegen. Damit werden zwei berechtigte Anliegen verfolgt. Erstens: Risikomanagement, um potenzielle Engpässe und Schwachpunkte in den Wertschöpfungsketten weit im Voraus zu erkennen. Zweitens: Die proaktive Behandlung der bevorstehenden Herausforderungen, insbesondere die Insolvenzrisiken in den nächsten 6 bis 12 Monaten, wenn die staatlichen Unterstützungsprogramme auslaufen. Einer der Impfstoffe könnte rechtzeitig verfügbar sein und die Situation entschärfen.
Weitere Herausforderungen für die Zukunft
Es gibt sicherlich weitere Trends und Herausforderungen für den Einkauf. Nachhaltigkeit ist ein wichtiger. Dieser Trend entwickelt sich in der Wahrnehmung von Verbrauchern und Investoren zu einem Wettbewerbsvorteil. Nicht-nachhaltige Aktivitäten werden in Zukunft wesentlich kritischer betrachtet, nicht nur wegen des Reputationsrisikos. Umweltschutz und Menschenrechte nach internationalen Standards bedingen eine hohe Sorgfaltspflicht der Unternehmen in den internationalen Wertschöpfungsketten.
Corona hat zudem offensichtlich die Verbreitung von Cloud-Lösungen und die Digitalisierung beschleunigt. Kunden überdenken ihren Fahrplan zur digitalen Transformation im Einkauf mit der Idee, effizienzsteigernde Ansätze beschleunigt umzusetzen. Zwischen dem erkannten Nutzen digitaler Anwendungen und der tatsächlichen Umsetzung über die letzten Jahre klafft weiterhin eine große Lücke. Die Diffusion digitaler Lösungen schreitet eher langsam voran. Covid-19 könnte eine Gelegenheit sein, die Gangart ein paar Stufen höher zu schalten.
Das Management der Lieferketten bzw. ganzer Wertschöpfungsketten bleibt über die Corona-Krise hinaus ein erfolgskritisches Thema auf C-Level, für welches das Management Initiativen ergreifen und größere Verantwortung übernehmen sollte.
Pressekontakt
Kloepfel Consulting GmbH
Gerrit M. Schneider
Pressereferent
T: +49 211 / 882 594 17
Mail: rendite@kloepfel-consulting.com