Interview mit Michael Ulverich, COO Koenig & Bauer
Dipl.-Ing. Michael Ulverich, COO des Würzburger Druckmaschinenherstellers Koenig & Bauer, ist Experte für Unternehmenstransformationen. Im Interview mit dem Kloepfel Magazin gibt er Einblicke zu der Rolle des Einkaufs in Transformationsprozessen, der Zusammenarbeit mit Kloepfel Consulting und seiner Einschätzung der Krise als Chance. Das Gespräch führte Kloepfel Senior-Partner Alexander Hornikel.
Herr Ulverich, wie bewerten Sie die aktuelle Situation produzierender Unternehmen in Deutschland?
Man muss die Situation mindestens zweigeteilt betrachten: Auf der einen Seite gibt es produzierende Unternehmen, deren Auftragslage bislang nicht wieder angesprungen ist und die zusätzlich mit der durch Covid-19 verursachten Supply-Chain-Situation zu kämpfen haben.
Andererseits gibt es Unternehmen, zu denen auch Koenig & Bauer zählt, die in einigen Bereichen derzeit enorme Aufholeffekte sehen. In unserem Fall ist das der Verpackungsmarkt insbesondere für Nahrungsmittel, Getränke, Pharmazeutika und Kosmetika – aber auch der ganze Bereich der Gebrauchsgüter. Er wächst und das auch insbesondere in der Covid-19-Situation in den unterschiedlichsten Bereichen. Beispielsweise ersetzt die Wellpappenversandbox mit den Zutaten zum „Selberkochen“ den Restaurantbesuch überspitzt gesagt. Unterm Strich läuft es für uns gerade gut – „We are on track“ und auch für die deutsche Wirtschaft insgesamt sehe ich große Hoffnung. Als Nach- bzw. Spätwirkung der Krise zeichnen sich allerdings die bereits zu Beginn erwähnten Probleme in den Versorgungsketten ab.
Welche Lösungsansätze hat Koenig & Bauer für sich gefunden?
Wir haben gleich zu Beginn der Covid-19-Situation in unterschiedlichsten Szenarien gedacht und uns letztlich für das pessimistischste entschieden: das „Prolonged Lockdown“-Szenario, das von zwei Lockdowns ausging. Einen dritten konnte sich zu diesem Zeitpunkt noch niemand vorstellen. Doch damit waren wir im ersten Aufschlag gut gesegnet, denn wir gingen richtigerweise von einer längerfristigen Problematik aus. Unser Rückschluss war, dass wir im Herstellungskostenoptimierungsbereich alle verfügbaren Ressourcen zur Verbesserung einsetzen sollten. Stattdessen lenkten wir bewusst den Fokus auf die Arbeit an unseren Lieferanten und die Preisgestaltung.
Hierzu haben wir unmittelbar mit Kloepfel Consulting ein Projekt gestartet, um die Verhandlungschancen eines solventen Kundens in schwierigen Zeiten zu nutzen: Wir konnten interessanten Lieferanten Zuverlässigkeit gegen gute und langfristige Preiskonditionen bieten. Das heißt, wir haben letztes Jahr im Sommer Abschlüsse bis zum Ende dieses Jahres gemacht. Das war gerade vor dem Hintergrund der jetzt stark steigenden Rohstoffkosten goldrichtig, denn die Preisbasisfixierungen geben uns ein gewisses Maß an Sicherheit. Das wiederum erlaubt uns, unter der derzeitigen Hitzewelle „durchzutauchen“.
Was würden Sie anderen Unternehmen in ähnlicher Lage raten?
Ich vergleiche das gerne mit einem Antriebssystem: Wenn der Motor ein Mal zum totalen Stillstand kommt, hat er den höchsten Verbrauch in dem Moment, wenn er wieder anfährt – der Motor heizt auf, stellenweise kann es zur Überhitzung kommen. Ist aber erst einmal wieder alles im Gang, kühlt er sich auf ein regelmäßiges Niveau ab. Ähnlich fährt nun die Weltwirtschaft nach einem starken Ausbremsen hoch – da ruckelt und quietscht es erst einmal! Hinzu kommen dann noch Ereignisse wie die Blockade des Suezkanals, die eine früh anspringende chinesische Wirtschaft dazu gebracht hat, Rohstoffquellen aus der gesamten Welt abzusaugen und so die Preise zu treiben.
Am Ende wird jedoch auch hier der Massenerhaltungssatz greifen: Masse verschwindet nicht einfach und kommt auch nicht hinzu. Es gibt eine gewisse Basis, auf der die Weltwirtschaft läuft. Ist nach der derzeitigen Anfangshektik alles wieder in Bewegung, werden sich die Nachfrage, Versorgung und damit die Preislage wieder nivellieren. Jetzt gilt es, in einer Phase der hohen Liquidität am Markt die Ruhe zu behalten. Den Unternehmen, die sich früh so aufgestellt haben, dass auch sie jetzt die Luft haben, um „unter der Hitzewelle hindurchzutauchen“, würde ich genau dazu raten.
Wie konnte Kloepfel Consulting Sie bei der Lösungsfindung und -umsetzung unterstützen?
Kloepfel Consulting hat das insgesamt exzellent in zwei Phasen gemacht. In der ersten wurde das Lieferantennetzwerk durchkämmt und durchforstet, um zu sehen: Wo stehen wir vertraglich, was sagt das Benchmarking intern hinsichtlich Wertschöpfungsstruktur und von extern im Einkauf? Im Einkauf haben wir dann unseren Ansatz gefahren, die Krise als Chance zu begreifen und möglichst lang fixierte Abschlüsse – um die 18 Monate – zu erzielen, die günstige Konditionen sichern. In der zweiten Phase wurde die richtige Lieferantenstrategie festgelegt, anhand der Größe und Fähigkeit der betrachteten Lieferanten. Es wurde geschaut, auf welchen Maschinen sich die Teile am besten produzieren lassen, anstatt fünf weitere Teile unbesehen bei Lieferanten zu platzieren, die man ursprünglich mal in einer Ausschreibung für ein ganz anderes Teilespektrum aufgetan hatte.
Es wurden auch Sourcing-Regionen aufgezeigt, die Koenig & Bauer bislang noch nicht angezapft hatte – zum Beispiel waren für unsere Beschaffung insbesondere die Türkei und manche Regionen in China interessant. Kloepfel Consulting hat hier auch unseren Blick darauf gelenkt, zukünftig auch die Vorteile der Seidenstraße zu nutzen. Schön war es auch, dass es ein Lernen voneinander gab: Nicht nur Kloepfel konnte uns neue, bereichernde Verbindungen verschaffen, sondern auch wir konnten Kontakte zur Netzwerkerweiterung vermitteln. So war es eine Partizipation in beide Richtungen.
Welche Bedeutung messen Sie dem Einkauf in Transformationsprozessen zu?
Der Einkauf ist sozusagen der Finanzier von Transformationsprozessen! Immerhin lassen sich hier am schnellsten monetär wirksame Einsparungen umsetzen, die mit keiner anderen Abteilung in Konflikt stehen. Hier lässt sich früh eine Wirkung im Unternehmen erzielen, wenn es um Ertragssteigerung geht. Natürlich wäre dann dicht gefolgt die nächste Anlaufstelle die Produktion. Hier geht es dann aber um einen Wandel in Mindset und Kultur, wohingegen Transformationen im Einkauf vereinfacht gesagt vor allem vertragslastig sind.
Wie gestalten sich die Aufbau- und Ablauforganisation während Transformationen?
Mein Ansatz ist: Mit dem Moment, wo eine Transformation gestartet wird, in eine Projektorganisation zu gehen, anstatt mit einer Aufbauorganisation anzufangen. So ist die Akzeptanz für Veränderungen viel höher und das Sponsoring läuft effizienter, weil vom Einzelnen nicht zuvorderst die Frage gestellt wird: „Was bedeutet das für mich und mein Kästchen?“ Der Fokus liegt dann auf den ersten Erfolgen, beispielsweise im Einkauf.
So bindet man die Stakeholder in das Projekt ein und setzt dann die Erkenntnisse Stück für Stück in einer Aufbauorganisation um, die sich sozusagen natürlicherweise ergibt und auch akzeptiert wird, weil sie erkennbar funktioniert.
Dabei möchte ich nicht verschweigen, dass zu einer erfolgreichen Transformation immer auch ein Teil Wohlgelingen gehört – es kam in der Geschichte auch schon vor, dass die strategisch besten Generäle vom Feld abberufen wurden, weil es am nötigen Quäntchen Glück fehlte.
Welche Bedeutung hat die Corona-Pandemie für Unternehmen im Hinblick auf die Innovationskraft?
Ich denke, dass Covid-19 ein Brennglas ist, das zeigt, wo Unternehmen bislang bereit waren, faule Kompromisse einzugehen, solange sie noch, wenn auch kleine, positive Margen erzielten. Denn Innovationskraft ist in deutschen Unternehmen meiner Einschätzung klar vorhanden, nur am Umsetzungswillen mangelt es häufig. Hier war die Krise ein Treiber: Wo vorher noch die Zahlen stimmten, gab es nun in gesamten Bereichen Einbrüche und aus der Not heraus wird gehandelt. Auch hier zeigt sich wieder der Unterschied zwischen jenen Unternehmen, die das bereits letztes Jahr erkannt haben und jenen, die sich sogar jetzt noch sträuben – für erstere ist eine schnelle Rückkehr auf die Erfolgsstraße möglich, für alle anderen kann es noch zu einem sehr harten Erwachen kommen.
Ich bin allerdings geneigt, die Lage insgesamt positiv zu sehen: die Krise hat den trotz von Liquidität gefluteten Markt in einen Zustand getrieben, wie wir ihn normalerweise in einer längeren Rezession sehen würden und somit wahrscheinlich auch eine Bereinigung angestoßen, die Prozessverbesserungen treibt und damit neue Chancen zur Gesundung aufzeigt. Man kann auch sagen: Es wurde ein Bereinigungszyklus gestartet, aus dem die Wirtschaft letztlich gestärkt hervorgehen wird. Aus meiner Sicht ist das Glas also ganz klar halb voll, wenn man die Krise als Chance nutzt.
Herr Ulverich, ich danke Ihnen für das Gespräch.