5 Wegweiser, um die Zukunft des Einkaufs neu zu denken
Auch für viele Einkaufsabteilungen war die Corona-Krise ein Schock, der Schwächen schonungslos offenbarte. Etwa überlange Lieferketten, virtuos verwoben über den Globus. Oder zu administrative Beschaffungsabläufe – mit Medienbrüchen, die für die Arbeit aus dem Homeoffice äußerst hin-derlich sind. Oder Single Sourcing Lieferanten in italienischen Sperrzonen. Diese Offenbarung lässt sich nun als Chance begreifen, Schwächen im Einkauf in Stärken zu verwandeln. Nur wie? Dazu betrachten wir folgend fünf Wegweiser, wie die Zukunft des Einkaufs neu gedacht werden könnte.
1. Den Einkauf agiler gestalten
Agilität ist in aller Munde – und auch der Einkauf will agil gestaltet sein, um auf unvorhergesehene Ereignisse schnell, flexibel und kompetent reagieren zu können. Notwendig ist dazu vor allem, starke Anker in dezentralen Standorten zu schaffen, die durch einen zentral koordinierten Einkauf gesteuert werden. Die Erfahrung zeigt insbesondere jetzt, dass ein rein zentraler Einkauf dysfunktional und für eine rasche Anpassung abträglich ist. Der Einbezug des Einkaufs in Taskforces ist auf unterschiedlichen Stufen erforderlich. In Krisensituationen sind die Unternehmen gefordert, sich rasch an die veränderte Situationen anzupassen. Es muss also eine Balance gefunden werden: zwischen der zentralen Steuerung, etwa über ein Warengruppenmanagement, einerseits – und ande-rerseits qualifizierter dezentraler Umsetzung mit Entscheidungskompetenz im Tagesgeschäft.
2. Beschleunigt digitalisieren
Bei der Arbeit im Homeoffice sind administrative Abläufe mit Papier und manuellen Medienbrüchen nicht mehr zeitgerecht. Die Zeit ist jetzt mehr als reif zur Digitalisierung. Davon ist der Einkauf nicht ausgenommen: Die Bedarfsträger sind mit E-Shops und E-Katalogen direkt einzubinden, für die notwendigen Freigaben ist der elektronische Workflow angesagt. Auch die Lieferanten sind elektronisch anzubinden. Im Detail sieht der Multi-Channel-Einkauf etwa so aus: Der Warenkorb wird aus verhandelten e-Katalogen/-Shops durch die Bedarfsträger gefüllt. Über den elektronischen Freigabeworkflow und eine Transaktionsplattform gelangen die Bestellungen direkt zum Lieferan-ten, wo sie ohne manuelle Eingriffe in die Kommissionierung eingeschleust werden. Und die Anfor-derer empfangen die Ware an nächsten Werktag an ihrem Arbeitsplatz.
Auch disponierte Ware aus dem ERP wird den Lieferanten elektronisch übermittelt werden. Schließlich sind Lieferavis und Rechnung elektronisch zu empfangen und automatisiert zu verarbeiten. Der Nutzen ist allgemein anerkannt, und digitale Abläufe werden seit nunmehr 20 Jahren postuliert. Leider werden sie nur sehr zögerlich umgesetzt, trotz an sich überschaubarer Budgets. Selbst die Schnittstelle zum belegführenden ERP-System lässt sich relativ einfach realisieren. Im eigenen Interesse sollten Unternehmen die Digitalisierung im Einkauf nun durch initiale Investitio-nen vorantreiben. Die Herausforderungen liegen eher in der notwendigen Anpassung der Prozesse an die digitalen Abläufe.
3. Resiliente Lieferketten aufbauen
Die Lieferketten einiger Unternehmen sind wohl „resistent“ – kleinere Veränderungen und Schwan-kungen prallen einfach an ihnen ab. Doch wie ein tönerner Krug sind sie nur so lange stabil, bis der Druck ihre Resistenz übersteigt – ein zu harter Fall, und sie brechen. Besser wären „resiliente“ Lieferketten: Damit ist die Eigenschaft gemeint, flexibel und dynamisch auf unerwartete Störungen zu reagieren. Ebenso können resiliente Lieferketten elastisch oder adaptiv mit Schocks umgehen. Wie also lassen sich Lieferketten „resilient“ gestalten?
Das beginnt bei den Sourcing-Strategien: Zunächst sollten etwa internationale Werke aus der kontinentalen Region versorgt werden. Die Stichworte lauten hier Lokalisierung und Nearshoring. Interkontinentale Lieferketten für Hunderte von Einzelteilen sind zu vermeiden. Auch Single-Sourcing-Situationen sind nicht ideal. Der Trend geht wieder stärker zum Dual- oder besser noch zum Multiple-Sourcing mit enger Lieferantenintegration. Fällt dann ein Lieferant in einem Land aus, ist das Unternehmen im besten Fall durch Alternativen abgesichert, weil rechtzeitig Redundanz aufgebaut wurde – möglichst über unterschiedliche Länder hinweg.
Zu guter Letzt sollten – wo immer möglich – nicht Einzelteile, sondern Module oder Komponenten gesourct werden. So wird die granulare Lieferantenbetreuung an Vorlieferanten delegiert, zudem ist die Lieferung von zehn Komponenten einfacher zu managen als von 900 Einzelteilen aus der ganzen Welt. Zusammengenommen bieten solche Maßnahmen eine Stärkung der Resilienz der Lieferketten – und helfen, eine neue Balance zwischen Effizienz und Resilienz zu finden.
4. Nachhaltigkeit schaffen
Leider ist beim Thema Nachhaltigkeit das „Freerider“-Problem bei vielen Unternehmen nach wie vor beobachtbar: Der eigene Beitrag falle nicht ins Gewicht. Andere könnten einen größeren Beitrag leisten. Mit derartigen Begründungen versuchen Unternehmen, Passivität zu rechtfertigen – dabei werden der Klimawandel, soziale Verantwortung für Arbeitsbedingungen, CO2-Fussabdruck oder Bio-Nahrungsmittel dominante Themen bleiben. Deshalb ist ein strategisches Vorgehen zum Aufbau von Wettbewerbsvorteilen zu empfehlen. Beispiele hierzu wären: Recyclebares Verpackungs-material, Beschaffung nachhaltiger Rohstoffe direkt an der Quelle, Nahrungsmittel aus biologi-schem Anbau, innovative Lieferanten für die E-Mobilität oder für den Konsumenten transparente Lieferketten. An sich ist der Einkauf mit Innovations-Scouting vertraut – nun gilt es, auch neue We-ge in der Nachhaltigkeit auszumachen. Ohne sich und die eigenen Zulieferketten ernsthaft zu hin-terfragen, entgehen einem erhebliche Chancen, die sich durch den Trend zu Nachhaltigkeit eröff-nen. Nachhaltige Lieferketten sind nachweislich auch widerstandfähiger aufgebaut.
5. Risiken neu kalibrieren
Seinen Einkauf krisensicher zu gestalten, bedeutet insbesondere, bei wichtigen Entscheidungen neben den Chancen auch die Risiken gut abzuwägen. Risikobasiertes Denken und Handeln durchdringt die Einkaufs- und Beschaffungsprozesse und kritische Ereignisse werden neu eingeschätzt bzw. das Risiko wird neu kalibriert. Die Krise hat gezeigt: Verdrängte oder latente Risiken sind zu-künftig stärker zu gewichten, auch gegen unwahrscheinliche „Black-Swan-Ereignisse“ muss man gewappnet sein. Wie aber können die Einkaufsabteilungen nun proaktiv reagieren? Auch hier gilt: Mit widerstandsfähigeren Lieferketten sind die Unternehmen grundsätzlich besser gewappnet – selbst dann, wenn ein „Schwarzer Schwan“ sich zeigt.
Spiel gegen die Zeit: Wer jetzt handelt, profitiert
Betrachtet man die vorgestellten Ansätze, zeigt sich, dass sich Einkäufern viele Chancen bieten, um gestärkt aus der Krise hervorzugehen. Manche Maßnahme lässt sich unmittelbar umsetzen, andere brauchen einen langfristigen Stufenplan – doch gemeinsam ist ihnen: Es gilt nun, keine Zeit dabei zu verlieren, sie anzustoßen. Denn es braucht gar nicht das nächste unvorhergesehene Ereignis, um die Widerstandsfähigkeit erneut zu prüfen – auch die Corona-Krise ist nach Einschätzung vieler Experten noch nicht durchgestanden. Es gilt also, Veränderungen zu wagen, in überschaubaren Sprints umzusetzen, rasch zu lernen und erfolgreiche Ansätze zu skalieren. Dazu kann ruhig mehr Verantwortung delegiert und wahrgenommen werden. Wer seinen Einkauf für eine zweite Welle wappnen möchte, sollte jetzt damit anfangen.
Autor: Dr. Stephan Hofstetter, Partner Kloepfel Consulting
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